Change ist nicht Strategy Execution nach Lehrbuch, sondern sensibles Management
Change-Theater? Dahinter steckt Psychologie plus Erwartungen des Umfelds
Wie haben Sie den letzten Veränderungsprozess in Ihrem Unternehmen erlebt? Gab es einen dringenden Ruf nach dramatischen Veränderungen und Umbrüchen? Wahrscheinlich dauern ein solcher Prozess und der Ruf nach Dringlichkeit bereits seit Jahren an. Sie sind nicht allein. Das ist in fast jedem Unternehmen mittlerweile zum Dauerzustand geworden. Und oft handelt es sich dabei eher um Theater als um eine echte Lösung für echte Probleme.
Aus vielen Transformationsprojekten kenne ich die Situation. Mitarbeitende riechen falsche Dringlichkeit 10 Meilen gegen den Wind, selbst wenn nur einzelne Duftpartikel in der Luft schweben. Und sie wissen, was das in der Regel bedeutet: viel Wirbel, zusätzliche Arbeit, Reporting-Pflichten und kein wirkliches Vorankommen.
Ein Mittelmanager eines großen Pharmakonzerns sagte mir einmal in einem Projekt, bei dem Innovationen entwickelt werden sollten: „Herr Weinreich, hier wird nicht gearbeitet. Wir gehen gerade durch einen Change-Prozess.“ Prägnanter kann man es kaum formulieren.
Brauchen wir wirklich Dringlichkeit?
Woher kommt dieser Fokus auf Dringlichkeit und Disruption? Natürlich spielt Kotters 8-Stufen-Theorie der Veränderung immer noch eine Rolle, bei der „Create a sense of urgency“ der erste Schritt ist. Auch Lewins Phase „Unfreeze“ fordert Destabilisierung des Status quo. Der popkulturelle Siegeszug des Begriffs „Disruption“ hat dauernde Destabilisierung zum Status erhoben, der gerade jungen Unternehmenslenkern ein cooles Revolutionärsimage verleiht.
Es gibt jedoch noch einen weiteren, sehr persönlichen Aspekt. Dieser erklärt auch, warum ältere, erfahrene Manager dieser Versuchung manchmal widerstehen können. In seinem Artikel „Disruption Doesn’t Drive Innovation — Safety Does” auf Medium beschreibt Greg Satell, wie Lou Gerstner (IBM) und Paul O’Neill (Alcoa) sich in Krisenzeiten vor allem auf das Erleben von Sicherheit ihrer Mitarbeiter konzentrierten und wie es den Menschen ermöglichte, Veränderungen anzunehmen. Der Wert dieses Gefühls der psychologischen Sicherheit ist auch durch die Forschung von Amy Edmondson gut dokumentiert.
Es gibt aber auch noch einen anderen, sehr persönlichen Aspekt. Er erklärt auch, warum gerade die älteren, erfahrenen Manager, die im Artikel beschrieben werden, dieser Versuchung widerstanden haben.
Psychologische Sicherheit – warum ist eine solch seniore Mentalität so schwierig?
Ich habe lange für Institutionen im Medizinsektor gearbeitet. Sensible Stellen sind immer die Arzt-Patienten-Interaktion einerseits und die rechtliche Verantwortlichkeit für medizinische Maßnahmen andererseits. In diesem Spannungsfeld habe ich sehr selten ältere, erfahrene Ärzte erlebt, die ihren Patientinnen oder Patienten auch mal sehr begründet sagten, dass es das Vernünftigste wäre, jetzt nichts zu tun.
Das widerspricht massiv den Erwartungen von Patienten und dem Sicherheitsempfinden von Ärzten. Nur wenn man etwas tut, etwas verschreibt, wird man doch seiner Verantwortung als Arzt gerecht. Nein, in einigen Fällen ist es definitiv nicht so. Aber es braucht mentale Stärke, das auszuhalten. Jüngere Kollegen sind damit oftmals überfordert.
Dasselbe Spiel findet oft in Transformationsprozessen an der Spitze großer Unternehmen statt. Manager – insbesondere neuberufene – müssen zeigen, dass sie Wirkung entfalten. Dazu gehört Sichtbarkeit. Dazu gehört es, Maßnahmen anzustoßen. Dazu gehört es, Wirbel zu machen.
Persönliche Stärke als Führungskraft entwickeln
Leider ist es auch hier so, dass es ein großes Maß an Resilienz und mentaler Stärke braucht, diesem Change-Theater zu widerstehen. Und das in einer Situation, in der diese Menschen sehr sichtbar und sehr angreifbar sind. Am besten gelingt das natürlich denjenigen, die im Bewusstsein agieren können, nichts mehr zu verlieren zu haben bzw. durch die Lebensleistung eine solide Rechtfertigung dafür zu haben, vom Erwarteten abzuweichen.
Für Menschen in der Mitte ihrer Karriere ist es extrem hilfreich, sich ein persönliches Netzwerk von Unterstützern aufzubauen, die den entsprechenden Rückhalt bieten, und selbst in einem Coaching die persönliche Stärke und den Weitblick zu entwickeln, die es braucht. Natürlich sollte ein Coach dabei eher empowerment-orientiert sein als das traditionelle Change-Theater zu unterstützen.
Es gibt Wege zu besserem Transformationsmanagement, bei dem Sicherheit und Stabilität die Grundlage für eine gemeinsame Entwicklung legen. Allerdings ist es eine massive Herausforderung, diesen Weg zu gestalten. Organisationstheorien und Erwartungen des Umfelds nähren leider gegenteilige Tendenzen.
Wie Sie Ihre Fähigkeiten erweitern und Empowerment in Ihrem Unternehmen fördern können
Menschen zu führen, war noch nie einfach. In schwierigen Zeiten kann es sich anfühlen, als würde man auf einem Vulkan tanzen. Ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Suchen Sie sich ein unterstützendes Netzwerk und nutzen Sie die Kraft des Coachings. Wenn Sie jemanden finden, dem Sie vertrauen und der Ihnen dabei helfen kann, die notwendigen Erkenntnisse, Stärken und Resilienz zu entwickeln, werden Sie in absehbarer Zeit zu einer viel besseren Führungskraft werden.
Wenn Sie sich in diesem Artikel wiederfinden, schauen Sie doch mal, wie mein Team und ich Ihnen helfen können.